Psychologische Einzelfallarbeit (E. Plaum, Kapitel 3, Exzerpt von Thomas Thiemann)



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Psychodiagnostik Psychologische Einzelfallarbeit

Kapitel III: Eklektisch-integrative Grundorientierung

Hypothesengeleitetes Vorgehen: - der Eklektiker ist sich bewußt, daß Befunde in Form von Gruppentendenzen keineswegs für ein konkretes Individuum zutreffen müssen (man kann immer nur von einer gewissen Wahr- scheinlichkeit ausgehen) - Forschungsergebnisse können daher nur Hypothesen hinsichtlich des Einzelfalls zur Verfü- gung stellen, die einer Überprüfung bedürfen

- nach einer vorläufigen Hypothesenbildung setzt also eine systematisierte ("hypothesengeleitete") Diagnostik ein und erst auf dieser Grundlage kann man zu optima- len Interventionsplanungen kommen - Diagnostik muß therapieschulenunabhängig erfolgen; die zu ergreifenden Maßnahmen kön- nen erst nach einer gründlichen Informationsgewinnung geplant werden

Kapitel VI: Einzelne Merkmale der Problemsituation

- das "experimentelle Modell" der Diagnostik liegt einer guten psychologischen Einzelfallar- beit zugrunde - es handelt sich hierbei um das Prinzip des hypothesengeleiteten Vorgehens (s. o.), das nun unter dem Aspekt der Ursachenfindung eine etwas genauere Darstellung verdient - es geht dabei um das Aufstellen von Hypothesen (auf Basis der Grundlagenforschung), die dann systematisch überprüft, modifiziert und spezifiziert werden - ein entscheidendes Grundprinzip ist dabei das Hinterfragen einzelner quantitativer Testre- sultate - diese dienen zunächst der Gewinnung von Hypothesen, die dann weiterzuverfolgen sind; der Einzelbefund wird auf die Bedingungen (d. h. Ursachen) seines Zustandekommens hin un- tersucht - man kann bei der Betrachtung des "experimentellen Modells" erkennen, wie Gegebenheiten, die bei einer "testtheoretischen" Bearbeitung einzelner Untersuchungsmethoden als "zufällige" Meßfehler gelten, ausdrücklich zum Gegenstand einer ("experimentellen") Überprüfung werden, aufgrund der Überzeugung, daß interindividuelle und intraindividuelle Variabilität eben nicht "zufällig", sondern determiniert ist (d. h. mindestens eine Ursache hat) - es gilt eine diagnostische Unsicherheit so weit wie möglich auszuschalten, indem - durch systematische Bedingungsanalysen und ggfs. sogar durch systematische Variation einzelner Variablen (daher die Bezeichnung "experimentelles Modell") - man versucht herauzube- kommen, weshalb das interessierende (Test-) Verhalten in der einen oder anderen Richtung variiert - sobald aber auf diese Weise Ursachen auch von ("zufälligen") "Meßfehlern" als Gegenstand der Untersuchung (im Einzelfall) eine Identifizierung und genaue Bestimmung erfahren - mit dem Ziel der Optimierung einer Diagnose - geht man von einer stochastischen Rahmen- konzeption zu einer deterministischen über - diese Grundorientierung zeigt sich ebenfalls, wenn "nicht-signifikante" Abweichungen von bestimmten Richtig- oder Normwerten keineswegs als bedeutungslos ignoriert werden, son- dern wiederum Anlaß zu spezifischeren Hypothesen geben

Kapitel VII: "Syndrome"

Organisch begründbare Störungen - es gibt minimale cerebrale Beeinträchtigungen, die auch von fachärztlicher Seite kaum oder gar nicht feststellbar sind, mit entsprechend geringfügigen psychischen Manifestationen - obgleich generell keine sehr engen Zusammenhänge zwischen dem Ausmaß der neurolo- gisch gesicherten Schädigung einerseits und dem Ausprägungsgrad seelisch-geistiger Stö- rungen andererseits bestehen - minimale cerebrale Dysfunktionen sind im Laufe der Entwicklung neurologisch vielfach nicht mehr feststellbar, wobei jedoch psychische Symptome (z. B. Teilleistungsschwächen) oft nach wie vor nachgewiesen werden können - auch bei medizinisch nicht eindeutigen Hinweisen lassen sich psychologische Befunde er- gänzend heranziehen

- die vordringlichste Aufgabe des Psychologen bei hirnorganischen Schädigungen besteht in der Feststellung psychischer Störungen, v. a. im psychomotorischen und kognitiven Bereich

Neurosen - bei den Neurosen wird von Störungen des Verhaltens bzw. Erlebens ausgegangen, bei denen einmal die Erfahrungen des betroffenden Individuums von entscheidender Bedeutung sind, zum anderen rationale Bewußtseinsphänomene eine relativ geringe Rolle spielen - manifestieren können sich derartige Störungen sowohl im psychischen als auch im somati- schen Bereich, wobei man jedoch i. a. nicht von primär körperlichen Ursachen ausgeht; es ist dann allenfalls von "psychosomatischen Krankheiten" die Rede - neurotische Phänomene schließen keinesfalls hirnorganische Schädigungen oder eine psy- chotische Symptomatik aus - primär psychotische Phänomene oder organische Krankheiten können sekundär zu neuroti- schen Auffälligkeiten führen - das ausschließliche Vorliegen einer "Neurose" ist also nur "per exclusionem" festzustellen - unter Neurosen versteht man i. a. nicht allzu starke Normabweichungen, v. a. ohne qualitativ abnorme Phänomene - bei Neurosen stehen emotional-motivationale Gegebenheiten im Vordergrund

Psychopathie: - angeboren bzw. auf der Grundlage einer abnormen Anlage entstandene Ab- normität der Persönlichkeit - man geht von rein quantitativen Abnormitäten aus - nach Kurt Schneider darf nur dann von einer "Psychopathie" gesprochen werden, wenn der Betroffene selbst oder (und) seine Umgebung unter dieser Normabweichung leidet - Psychopathien gelten vielfach als Anomalien des "Charakters"

Weitere Kategorien: - die Ursachen sind bei schweren Formen der Intelligenzstörung fast immer organischer Art, wobei etwa cerebrale Schädigungen oder Stoffwechselerkrankungen, auch erbbedingt, zu nennen wären

Oligophrenie: - somatische Schädigungen des Gehirns vor oder während der Geburt bzw. bald danach; d. h. der "Schwachsinn" ist angeboren

Demenz: - Abbau früher vorhandener intelektueller Funktionen

Pseudodebilität: - als neurotisch zu verstehende, scheinbare Oligophrenie, entstanden auf- grund ungünstiger Milieueinflüsse und daher im Prinzip reversibel

Pseudodemenz: - nur scheinbarer Abbau, zeitweilige Nichtverfügbarkeit der normalen Intelli- genz - oft liegt eine Verknüpfung "neurotischer", bewußt-simulatorischer und or- ganischer Komponenten vor, wobei häufig derart absurd schlechte Leistun- gen geboten werden, daß sie recht unglaubwürdig wirken - in der Psychiatrie spricht man in diesem Zusammenhang auch vom "Ganser-Syndrom", dessen nosologische Einordnung jedoch umstritten ist - als charakteristisch gelten "Vorbeireden", "Vorbeihandeln" und "Nichtswissenwollen" - von echter bzw. ausschließlicher Simulation ist das "Ganser-Syndrom" schwer zu unterscheiden

Kapitel XII: Verschiedene diagnostische Rahmenbedingungen

- Testverfahren, die einer ersten Groborientierung dienen können - sog. "Screening- Verfahren" - sind meist unter den Voraussetzungen der KTT konstruiert worden - die Reliabilität stellt dabei das zentrale Gütekriterium dar

Der Einzelfalldiagnostiker sollte - in eindeutiger Weise auf einer deterministischen Grundkonzeption aufbauen - zwar primär, aber keineswegs ausschließlich verhaltensorientiert sein, sondern vielmehr - eine ganzheitliche Sicht der Interpretation seiner diagnostischen Befunde zugrundelegen, wobei bestimmte psychische Gegebenheiten (nur) schwerpunktmäßig anzugehen sind - lebensnahe Methoden bevorzugen (die in ihrer Grundstruktur mit dem Verhalten bzw. Erle- ben übereinstimmen, zu dem Aussagen beabsichtigt sind), aber - prinzipiell eklektisch-multimethodal vorgehen

Kapitel XIII: Modelle der Einzelfalldiagnostik in verschiedenen Anwendungsfeldern

1. Assessment-Center-Methode" in der A- und O-Psychologie - man orientiert sich primär am Verhalten - den Interpretationen diagnostischer Befunde liegt eine ganzheitliche Sicht zugrunde - es wird auf die Repräsentativität der Anforderungen im Hinblick auf bestimmte Kriterien Wert gelegt; dies führt zu lebensnahen Methoden - eine eklektisch-multimethodale Vorgehensweise ist zu konstatieren (Untersuchungen in der Gruppe (z. B. führerlose Gruppendiskussion) als auch Einzeluntersuchungen (z. B. "Postkorb")

- Vorgehen zur Personalbeurteilung, mit dem Ziel Selektion oder Klassifikation (Eignungsdiagnostik) bzw. einer Personalentwicklung (im Sinne einer besonderen Förde rung einzelner Personen) - der Diagnostiker stützt sich nicht auf bestimmte testtheoretische Modelle und es kommen auch verschiedene Validitätsarten (z. B. konkurrente Inhaltsvalidität) in Betracht, obgleich die prädiktive Gültigkeit im Vordergrund steht

- das AC geht auf die Offiziersauslese bei den deutschen Streitkräften in der Weimarer Repu- blik zurück - es geht letzlich immer um die Frage der Eignung (auch im Sinne einer "Förderungs- würdigkeit") unter dem Aspekt der Kosten-Nutzen-Relation - (meistens) mehrere Beurteiler teilen die Pb bzgl. bestimmter Merkmale ein - die Eindrücke werden zusammengefaßt; man nimmt zunächst einzelne Einschätzungen an- hand gegebener Beurteilungsskalen vor, aber die Gesamtbeurteilung erfolgt i. a. nicht in Form von standardisierten Algorithmen, sondern es gehen vielmehr auch subjektive Mo- mente mit ein (die Kontrolle subjektiver Beurteilungstendenzen erfolgt durch eine abschlie- ßende Besprechung mit dem Ziel eines einheitlichen Urteils - wichtig ist die Schulung der Beobachter - Acs ermöglichen mit einer Validität von ca. .40 die Vorhersage sowohl späterer Vorgesetz- tenbeurteilungen als auch Beförderungen - da die beim AC verwendeten Aufgaben oft von augenscheinlicher Relevanz ("face validity") für die Berufstätigkeit sind (die diagnostischen Verfahren haben Stichprobencharakter), sieht es so aus, als sei auch die inhaltliche Gültigkeit gegeben aber: eine differenzierte Aufgabenanalyse ist anzustreben, d. h. es muß untersucht werden, welche Anforderungen die Pb im realen Berufsalltag bestehen müssen ( Konstruktion lebensnaher Aufgaben (z. B. Postkorb) - zur quantitativen Abschätzung des Nutzens des Verfahrens benötigt man, außer der Validität der diagnostischen Mehtode, den Anteil geeigneter Personen in der unausgelesenen Bewer- bergruppe (Grundrate), die Selektionsrate, sowie Annahmen zur Leistungsverteilung - die Akzeptanz und Transparenz des Verfahrens sind zu beachten - von anderen diagnostischen Vorgehensweisen unterscheidet sich das AC durch die Intensität und relative Intimität der Kontakte der Beteiligten (ACs dauern oft 2-3 Tage)

Förderdiagnostik - verschiedene Versionen der sog. Förderdiagnostik sind auf den Einzelfall hinorientiert - dabei haben sie Gemeinsamkeiten mit zumindest einigen der modernen Formen des AC (auch der Aspekt der Förderung wird beim AC berücksichtigt) - die Förderdiagnostik ist nicht primär auf Selektion ausgerichtet, sondern das Ziel ist, heraus- zufinden, mit welchen ganz konkreten, auch inhaltlich fixierbaren Maßnahmen dem jewei- ligen Pb am besten gefördert werden kann

- als ein weiterer Berührungspunkt von AC und Förderdiagnostik wäre die Aufgabenanalyse zu nennen - bei der Förderdiagnostik geht es um die Bestimmung von Voraussetzungen (Kompetenzen etc.) verschiedener Art, welche gegeben sein müssen, damit der Pb bestimmten Anforderun- gen gerecht wird - es wäre hier auch möglich eine Art AC zu organisieren

Unterscheidung förderdiagnostischer Konzepte: a, Analyse von Aufgaben ("task analysis") ( orientiert sich v. a. an den erforderlichen Kenntnissen und motorischen Leistungen, die zum Bewältigen von Anforderungen verschiedener Art notwendig sind b, Analyse kognitiver Komponenten ( stärker theoretische Ausrichtung; Prozesse und Strategien der Info-verarbeitung bei ko- gnitiven Anforderung betreffend c, Analyse der objektiven Anforderungs- und subjektiven Leistungsstruktur ( auf welcher Ebene soll die geistige Leistung vollbracht werden? ( auf welche Erkenntnisobjekt ist die geistige Tätigkeit gerichtet? (Gegenständliches, Symbolisches etc.) ( wie groß ist die Anzahl der Komponenten, mit denen geistige Operationen auszuführen sind? ( wieviel Denkschritte müssen ausgeführt werden?

Prinzip eines hypothesengeleiteten Vorgehens

Ausgangsinformation: schlechte Schulleistung im Rechnen

Hypothese: unterduchschnittliche "Gesamtintelligenz"; Überprüfung mit Intelligenztests

Ergebnis: mind. durchschnittliche Resultate Ergebnis: unterdurchschnittl. Intelligenz (weitere Abklärung erforderlich)

Hypothese: isolierte Rechenschwäche Überprüfung mit Rechenaufgaben (Rechentest)

Ergebnis: mind. durchschnittl. Resultate Ergebnis: unterdurchschnittl. Resultate Hypothese: schlechte Leistungen nur Hypothese: generalisierte Teilleistungsschwäche in der Schulsituation Spezifizierung und Erweiterung der Hypothese: Überprüfung durch Informationen MCD möglicherweise mit anderen, zur Rechenleistung weniger auffälligen Störungen gekoppelt

ja: weitere Hyp.: ungünst. Lehrer-Schüler-Verhält. Überprüf. mit Hirnorganikertests (ja/nein)

Kapitel XIV: Eklektisch-ganzheitliche Informationsgewinnung bei klinisch-psychologischen Problemsituationen

- Individualdiagnostik muß problemorientiert, nicht aber testzentriert ablaufen - die WARTEGG-Tests und die Wunschprobe nach WILDE sind Beispiele für projektive Techniken ohne tiefenpsychologischen Hintergrund - projektive Techniken haben vielleicht als einzigstes gemeinsames Merkmal, daß sie nicht durchschaubar sind - viele projektive Verfahren können als Breitbandverfahren zur Hypothesengenerierung An- wendung finden (aber Absicherung nach dem Konvergenzprinzip erforderlich!)

Klassifikatorische Fragestellungen - es gibt keine psychodiagnostische Fragestellung, die sich im Einzelfall mit hinreichender Sicherheit beantworten läßt, wenn nur eine einzige Methode zur Anwendung kommt - diese Feststellung trifft nicht nur aufgrund der für ein konkretes Individuum unzureichenden testtheoretischen Gütekriterien zu, sondern auch, weil das im Einzelfall so wichtige Konver- genzprinzip unterschiedliche methodische Zugänge voraussetzt

Diagnostik zur Ermittlung hirnorganischer Schädigungen - bei einer grob orientierenden (klassifikatorischen) Hirnschädigungsdiagnostik sind v. a. 3 "neuropsychologische Inferenzprinzipien" von Bedeutung: a, Leistungsvergleich anhand von Populationsnormen (für Hirngeschädigte und -gesunde) b, die Registrierung "pathognomischer" ("krankheitstypischer") Zeichen c, der Vergleich mit dem geschätzten prämorbiden Leistungsniveau

- Einzelverfahren, die generell zur Differentialdiagnostik herangezogen wurden, eignen sich nach zahlreichen Befunden, die hierzu vorliegen, nicht, um einigermaßen verläßliche Klas- sifikationen zu ermöglichen ( RORSCHACH-Test; kann höchstens ergänzend, im Hinblick auf ganz spezielle Hinweise herangezogen werden (etwa zur Aufdeckung von Perseverationstendenzen) ( MMPI Saarbrücken; diese deutsche Version ist nur mit großer Zurückhaltung zu verwen- den; einmal führt die schwerfällige sprachliche Formulierung vieler Items zu Problemen (hauptsächlich bei kognitiv beeinträchtigen Personen), zum anderen liegen nur unbefriedi- gende Normierungen vor - die psychoserelevanten Skalen (Paranoia, Schizophrenie, Hypomanie) können niemals für sich allein hinreichende Informationen liefern, wobei die Schizophrenie (bzw. Schi- zoidie-) Skala zudem noch relativ hoch mit einer "Neurosen"-Skala (Psyasthenie) korre- liert - selbstverständlich kann das MMPI noch weniger zur klassifikatorischen Hirnorganiker- diagnostik herangezogen werden

- differentialdiagnostisch sehr schwierige Frage: Unterscheidung Demenz vs. Pseudodemenz - beim Problem der Simulation kommt es darauf an, Inkonsistenzen innerhalb der psycho- logischen Befunde (eventuell bei Retests) aufzuzeigen, auf Kooperationsbereitschaft und emotionale Reaktionen zu achten (Minderleistungen werden von Simulanten bzw. "pseudodementen" Pbn vielfach mit demonstrativ-übertreibenden Äußerungen begleitet)

- ein "experimentelles" Vorgehen erscheint oft angezeigt (z. B. wird durch die Instruktion suggeriert, daß sehr leicht zu lösende Aufgaben schwierig seinen oder für Hirngeschädigte tatsächlich häufig schwer zu bewältigende Anforderungen stellen sich subjektiv dem Pbn als recht einfach dar - Erfolgsrückmeldungen wurden oben ebenfalls schon erwähnt - geschickt vorgehende Simulanten werden allzu einfache Aufgaben lösen wollen, schwierig erscheinende jedoch nicht und v. a. bei den letzteren dürften Erfolgs-Feedbacks kaum zu besonders positiven Emotionen führen und vermutlich einen weiteren "Leistungsabfall" bewirken

- Probleme im höheren Alter enstehen auch durch Interferenzen mit nichtpathologischen Alte- rungsprozessen - aber auch bei Kindern sind besondere Bedingungen gegeben (z. B. Pubertät) - ganz entscheidend im Hinblick auf Intervention (auch präventiven Charakters) ist jedoch die möglichst frühzeitige Erkennung einer MCD - abgesehen von emotionalen und sozialen Problemen, die oft mit derartigen Beeinträchtigun- gen einhergehen, muß man dabei mit dem Auftreten von Lernstörungen rechnen, die sich - bei sonst durchaus begabten Kindern - keinesfalls schon zu Beginn der Schullaufbahn zei- gen müssen - in den meisten Fällen unklarer schulischer Leistungsschwächen ist daher eine zumindest orientierende neuropsychologische Diagnostik angezeigt

- im Vergleich zu Erwachsenen liegen über Hirnschädigungen bei Kindern relativ wenige Untersuchungen vor; es zeigt sich dabei eine Tendenz zu globaleren Defiziten, um so gene- ralisierter, je jünger die Pbn sind - entsprechend dem Konvergenzprinzip sollte man nur dann von MCD bzw. einem "hirnorganischen Residualzustand" sprechen, wenn mit Hilfe von wenigstens 3 methodisch prinzipiell unterschiedlichen Verfahren klare Hinweise gefunden wurden, ansonsten kann allenfalls von einem "Verdacht" die Rede sein - solche verschiedene Methoden sind das anamnestische Interview (Vorgeschichte, z. B. Ab- lauf von Schwangerschaft und Geburt), neurologische Untersuchungen sowie die verschie- denen psychologischen Testverfahren -

Beschreibende Diagnostik - mit Hilfe bestimmter Fragebogentests ist es möglich, einzelne Dimensionen "neurotischen" bzw. "psychopathischen" Verhaltens zu erfassen - der MMPI wird zur klassifikatorischen Diagnostik herangezogen, wobei der "neurotischen Trias" - den Skalen "Hypochondrie" (Hs), "Depression" (D) und "Hysterie" (Hy) - eine be- sondere Bedeutung zukommt - obgleich die "Psychoseskalen" (Pa, Sc, Ma) noch weniger brauchbar sind, sollte auch allein aufgrund der "Neurose"-Werte des MMPI (wozu auch die Psychasthenie-Skala zu rechnen wäre) niemals eine Diagnose gestellt werden, zumal das Merkmal "Depression" nicht aus- schließlich als neurosenspezifisch gelten darf - das ursprünglich für psychiatrische Klassifikationen verwendete MMPI Testverfahren wird heute auch als Persönlichkeitstest im Normalbereich eingesetzt

- die von Eysenck entwickelten Fragebögen zur Erfassung der Dimensionen "Extraversion" und "Neurotizismus" (MMQ, MPI und EPI) sind nicht unumstritten - der Eysenck´sche Neurotizismus erfaßt keineswegs das gesamte Spektrum "neurotischer" Erlebnis- und Verhaltensweisen ( daher verbietet sich eine klassifikatorische Neurosendia- gnostik mittels dieser Fragenbogenskala

- ein breiteres Spektrum "neurotischer" Erlebens- und Verhaltensweisen versuchte Cattell mit Hilfe von Fragebögen ("16 PF") anzuvisieren; aber: zumindest die deutsche Version des 16 PF-Tests dürfte gegenwärtig noch nicht für die routinemäßige Anwendung in der Praxis zu empfehlen sein

- lebensnahe Problemslösungs- bzw. Denkaufgaben (oder auch "Arbeitsproben"), wie z. B. der "Würfelkasten", sollten nicht fehlen, wenn eine sehr gründliche Abklärung des ge- sam ten Leistungsbereiches erforderlich erscheint - derartige Verfahren bringen wichtige Informationen zum Arbeitsverhalten, etwa Bewälti- gungsstrategien (beispielsweise das Vorgehen nach "Versuch und Irrtum") betreffend, oder Frustrationstoleranz und Affektbeteiligung

- Interessentests können in Problemsituationen, die in Richtung einer inadäquaten Entlastung ("Ausuferung" bzw. "Luxusverwahrlosung") gehen, hilfreich sein

- zur Diagnostik des sozialen Verhaltens bei Erwachsenen: FPI, Gießen-Test, Wunschpro- be nach Wilde

- individuenspezifische Problemaspekte mit Interviewleitfäden, Anamneseleitfäden oder verschiedene Fragebogenverfahren (z. B. Beschwerdelisten, Problemfragebogen, EWL)

- es ist möglich, in eine Assoziationsreihe für den Klienten (vermutlich oder tatsächlich) rele- vanten "Reizworte" einzufügen; hier kann sich die Kreativität des Diagnostikers zeigen

Kapitel XV: Kritische Fragen und Versuche einer Beantwortung

Therapie-Evaluation: - eine methodenübergreifende interventionsorientierte diagnostische Vorgehensweise stellt das "Goal Attainment Scaling" (GAS) dar - unter diesem Oberbegriff subsumiert man Techniken, die der Erfassung individueller Kli- entenziele dienen sowie der Überprüfung ihrer Realisierung Vorgehensweise: - Spezifikation der Behandlungsziele durch Therapeut und Klient - diese Ziele werden auf 5-Punkte-Skalen angegeben und entsprechend ihrer Relevanz für den Klienten relativ zu allen Problembereichen gewichtet - der erwartete, wahrscheinliche Ausgang der Intervention unter der Annahme einer effekti- ven Behandlung erhält einen mittleren Wert (Punktwert 0) - die Werte -1 und -2 stellen weniger erwünschte Ergebnisse dar, Werte von +1 und +2 bilden Maximalerwartungen oder besser als erwartete Ausgänge ab - nach Ende der Intervention werden die Ziele auf den gebildeten Skalen i. d. R. von einem neutralen Experten noch einmal eingeschätzt - durch die Gewichtung und Aufsummierung der individuellen Skalenwerte erhält man einen GAS-Gesamtpunktwert - dieser Wert ist unabhängig von der Zahl der Skalen und deren Interkorrelationen

- die Validität dieses Vorgehens ist allerdings umstritten - dennoch erweisen sich folgende Aspekte der GAS als relevant, insbesondere für den klini- schen Bereich: - die Ziele von Interventionen sind in operationalisierten Verhaltensbegriffen formuliert und dadurch sind Verbesserungen bzw. Fortschritte deutlicher belegt bzw. meßbar - die Anwendung des GAS führt zur stärkeren Partizipation der Mitglieder des Behand- lungsteams, aber auch der Patienten am Prozeß der Zielsetzung, Planung und Durchfüh- rung von Maßnahmen und an deren Evaluation - die Planung ist auf multiple Ziele gerichtet; zu Beginn werden alle Beteiligten auf diese Ziele verpflichtet, die ausschließliche Orientierung an alltäglichen Notwendigkeiten der Praxis kann zumindest teilweise vermieden werden - der Evaluationvorgang selbst ist eine effiziente Form der Kommunikation über Programm- ziele innerhalb des Behandlungsteams bzw. des Personals - weitere Interessengruppen (Supervisoren, Verwaltung, Geldgebern) wird mit dieser Me- thode jeweils ein Eindruck über gegenwärtigen Stand und Arbeitsweise der Einrichtung gegeben - die Strukturierung der Zielvorstellungen und Erwartungen des Klienten wirkt außerdem im Sinne eines "unspezifischen Effektes" therapeutisch

- das GAS geht über eine individuelle Effektivitätskontrolle hinaus und stellt einen Ansatz zu einer umfassenden Evaluationsforschung dar - diese erweist sich im Vergleich zu ausschließlichen (individuellen) Therapie-Effekt- Kontrolle als umfassender (Kosten eines Interventionsprogrammes, Angemessenheit etc.)

Kontrollierte Praxis - unter dem Begriff kontrollierte Praxis wird der Anspruch verstanden, die Effekte prakti- schen Handelns so gut wie möglich zu erfassen - durch das Konzept der Kontrollierten Praxis soll praktisches Handeln begründbar und ge- genüber Dritten legitimierbar werden - in der Praxis bedeutet Kontrolle, die tagtäglich anfallenden Einzelfälle zu dokumentieren und nach diagnostisch nachvollziehbaren Regeln aufzuarbeiten - eine solche Praxiskontrolle ist nicht an ein bestimmtes methodisches Konzept gekoppelt - es steht lediglich das Interesse am Einzelfall im Vordergrund ( 3 Zielvorstellungen: 1. eine umfassende Indikationsstellung, die verschiedene Informationsquellen berücksichtigt und zu Annahmen über mögliche Veränderungseffekte kommt 2. Verlaufskontrollen auf der Basis mehr oder weniger gut standardisierter und wiederholt erhobener Daten am Einzelfall, wobei eingetretene Veränderungen geprüft werden sollen 3. ein systematischer Vergleich von Einzelfällen unter bestimmten Vorgaben, dies es gestat- ten, eine Gruppierung vorzunehmen und in der Folge davon zukünftige Indikationsstellun- gen zu präzisieren

- letzten Endes ist nur eine individuelle Indikation zu verantworten, die sich durchaus mit den Prinzipien der kontrollierten Praxis vereinbaren läßt Psychodiagnostik - Script zur Examensvorbereitung 1

Psychodiagnostik - Psychologische Einzelfallarbeit